Artikel-Informationen
erstellt am:
06.07.2021
Kind im Straßenverkehr – Eltern haften nicht immer
Auch Kinder sind Verkehrsteilnehmer und immer wieder in Verkehrsunfälle verwickelt. Ein solcher Fall wurde nun auch vor dem Amtsgericht Springe verhandelt und entschieden.
Was ist geschehen?
Im Sommer letzten Jahres befuhr ein 6 – Jähriger den Bürgersteig einer Straße vor seinem Elternhaus mit dem Fahrrad. Die Straße ist ausgewiesen als verkehrsberuhigter Bereich (Tempo 30 – Zone). Aus letztlich ungeklärten Gründen fährt der Junge plötzlich über einen Grünstreifen und hinter einem geparkten LKW hervor auf die Straße. Es kommt zum Zusammenstoß mit einem PKW, dessen 88 - jähriger Fahrer vorschriftsmäßig fuhr und für den der Unfall nach Zeugenaussagen unvermeidbar war. Der Junge wurde schwer verletzt, ist aber glücklicherweise wieder vollständig genesen und fährt auch wieder Fahrrad.
Der Fahrer des PKW verklagte nunmehr den Vater des Jungen wegen Verletzung der Aufsichtspflicht auf Schadensersatz in Höhe von über 4.000 EUR.
Im vorliegenden Fall entschied das Amtsgericht gegen den Autofahrer. Die Eltern genügten ihrer Aufsichtspflicht im Falle eines unbeaufsichtigten Fahrens des 6 - jährigen Kindes, wenn sie sich eine Zeit lang durch Begleitung vergewissert haben, dass ihr Kind den Anforderungen des Straßenverkehrs gewachsen ist und dies auch später stichprobenartig überprüfen. Der Vater konnte das Gericht überzeugen, dass der Junge seit Jahren sicher im Nahbereich des Wohnhauses mit Fahrrad und Roller unterwegs ist. Schule und Kindergarten sowie diverse Sport- und Freizeitstätten liegen im Umkreis von 300 m und werden regelmäßig von dem Jungen allein aufgesucht. Zu berücksichtigen war auch, dass es sich um eine verkehrsberuhigte Tempo – 30 – Zone handelte.
Hintergrund:
Der Fall zeigt schön die entgegenstehenden Interessen. Einerseits soll sich jeder Verkehrsteilnehmer darauf verlassen können, dass andere Verkehrsteilnehmer sich verkehrsgerecht verhalten. Andererseits müssen Kinder den Freiraum erhalten, zu erlernen, eigenständig am Straßenverkehr teilzunehmen.
Grundsätzlich haften die Eltern für den Schaden, den ein Kind einem Dritten zufügt, es sei denn, sie können den Beweis erbringen, dass sie ihrer Aufsichtspflicht genügt haben, § 832 BGB.
Nach § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB ist derjenige, der kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit der Beaufsichtigung bedarf, zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der Minderjährige einem Dritten widerrechtlich zufügt. Nach § 832 Abs. 1 Satz 2 BGB tritt die Ersatzpflicht des Aufsichtspflichtigen nicht ein, wenn dieser seiner Aufsichtspflicht genügt hat. Der Umfang der gebotenen Aufsicht über Minderjährige bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen danach richtet, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation tun müssen, um Schädigungen Dritter zu verhindern. Bei der Bewertung und Beurteilung der Aufsichtspflicht bzw. deren Verletzung ist auch zu berücksichtigen, dass die Eltern als Inhaber des Sorgerechts den gesetzlichen Auftrag haben, ihre Kinder zu verantwortungsbewussten und selbständig handelnden Erwachsenen zu erziehen, was eine mit zunehmender Reife des Kindes sukzessive größer werdende Gewährung von Freiraum zum „Entdecken von Neuland“ voraussetzt.
Das 6 – jährige Kind selbst ist gemäß § 828 Abs. 2 BGB ohnehin nicht für den Schaden verantwortlich.
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erstellt am:
06.07.2021